Was ist eigentlich "Bollenland"? Vor über 200 Jahren war es üblich, das die Einwohner eines Dorfes, die Kühe hielten, einen gemeinsamen Deckbullen hielten, den Dorfbullen, der damit auch der "Dorfschaft" gehörte. Dieser Bulle wurde auf einer Landfläche gehalten, dem "Bollenland", das ebenfalls dieser Dorfschaft gehörte.
Die Entstehung der "Bollenländereien" der Dorfschaft Trittau hängt zusammen mit der Agrarreform von 1771. Vor dieser Zeit ist von Bollenländereien nicht die Rede, insbesondere auch nicht im Erdbuch von 1708 und in den für die Herzogtümer erlassenen Gesetzen und Verordnungen. Es hat aber zweifellos vor den Landverteilungen den oder die Dorfbullen gegeben, weil wie selbstverständlich Grundstücke für den eben doch vorhandenen Dorfbullen ausgelegt wurden. Die "communalen Gemeinheiten", d.h. das Gemeinschaftsland des Dorfes, wurden 1777/1778 verteilt. Für die Dorfschaft Trittau wurden "zu einer gemeinschaftlichen Bollenwiese" Ländereien der Gesamtgröße von über 7 Tonnen ausgelegt. In einer Bekanntmachung vom 30. Oktober 1813 wird festgehalten, dass die Auslegung der Koppel vom Hebüchen Moor (s. Flurkarte) als Bollenwiese genehmigt wurde. Im Vertrag vom 19. März 1822 werden die Bollenländereien dem Halbhufner Stender zum Eigentum überschrieben unter Zuschreibung zu seiner Hufe. Eine Entscheidung, die in späteren Jahren zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führen sollte. Stender übernahm dafür die Verpflichtung, auf seiner Halbhufe einen, erforderlichenfalls zwei taugliche Zuchtbullen zur unentgeltlichen Nutzung der "beikommenden Trittauer Dorfeingeseßenen" zu halten. Im Vertrag werden als "beikommende Eingeseßene" der Bauernvogt Harders, 10 Halbhufner, 4 Käthner und 7 Bödner genannt. Deshalb nannte man sich auch "Die Genossenschaft der 22 Bauern". Dieser Begriff wird immer noch verwendet, obwohl die Genossenschaft heute (2010) nur noch aus 9 Mitgliedern besteht.
1842 erwarb Mannshardt den gesamten Landbesitz Stender, wurde damit auch Eigentümer des Bollenlandes. Seinen gesamten Besitz veräußerte er 1867 an F.W. Siefahrt, der wie seine Vorbesitzer auch seiner Verpflichtung zur Stierhaltung bis 1874 nachkam.
In der königlichen Amtsstube zu Trittau wurde am 22. Oktober 1846 ein Verzeichnis über das Landareal der Dorfschaft Trittau erstellt. Es war ein Verzeichnis aller Einwohner Trittaus, die eine oder mehrere Kühe in ihrem Bestand hielten. Erfasst wurden Beruf, Name und Größe der bewirtschafteten Ländereien. Es war ein Zusammenschluss der "Eingeseßenen" zwecks gemeinsamer Nutzung eines Deckbullen, die sich später "Bollengenossenschaft Trittau" nannte.
Im Jahr 1874 parzellierte (= Aufteilung und Verkauf einzelner Flächen eines Bauernhofes) Siefahrt seinen Besitz. Er behielt eine Koppel und veräußerte 32 verschieden große Landflächen an 32 Trittauer Einwohner. Der Gemeinde Trittau bot er die "Bollenländereien" zum Kauf an. Daraufhin machten die Rechtsnachfolger der im Vertrag von 1822 genannten "beikommenden" Stellenbesitzer den Anspruch der von Stender übernommenen Verpflichtung zur Stierhaltung geltend. Nach dem Urteil des Kreisgerichtes Altona vom 24. November 1875 wurde die Gemeinde Trittau als Eigentümerin der Bollenländereien zur Stierhaltung nach Maßgabe des Vertrages von 1882 verurteilt. Die Gemeindevertreter regten daraufhin Verhandlungen an, die dazu führten, dass die Bollenländereien mit Vertrag vom 1. März 1877 der Genossenschaft der 20 Bauern als Eigentum rückübertragen wurden.
Es ist nicht ersichtlich, in welcher Weise die Bauern in Trittau seit 1874 die Versorgung mit Zuchtbullen gedeckt haben. Es ist anzunehmen, dass sich in den Jahren immer mehr Landwirte einen eigenen Bullen angeschafft hatten, sodass ein Gemeinschaftsbulle nicht mehr notwendig war. Sie haben auch nach dem Erwerb der Bollenländereien diese nicht mehr zur Haltung von Bullen benutzt, sondern sie regelmäßig verpachtet. Der Pachterlös - abzüglich aller Kosten wie z.B. Grundsteuer, Kirchensteuer und Schulsteuer, wurde unter den Genossenschaftsmitgliedern aufgeteilt im Verhältnis der 1846 festgelegten Landanteile.
Nachdem die Bollenländereien wieder im Besitz der Genossenschaft der 20 Bauern war, meldeten sich Siefahrt und 7 Erwerber von Parzellen aus dem Siefahrt'schen Besitz zu Worte und erhoben 1884 beim Amtsgericht Trittau Klage gegen die 20 Bauern mit dem Ziel, an dem Eigentum oder doch an der Nutzung der Bollenländereien beteiligt zu werden. Die Klage wurde abgewiesen, da Siefahrt ja seine Verpflichtung zur Stierhaltung mit dem Verkauf der Bollenländereien an die Gemeinde übertragen hätte.
Nach diesen Wirren der vergangenen Jahrzehnte um die Bollenländereien war es an der Zeit, verbindliche Regelungen über die Nutzung der Bollenländereien aufzustellen. 1893 wurde ein Vertrag vor dem königlich preußischen Amtsgericht zu Trittau über die Bollengenossenschaft geschlossen. Anlass war das Ableben des Genossen Halbhufner Stahmer und die nachfolgende Parzellierung eines Hofes. Der Käufer, der das Wohnhaus und etwas Land erworben hatte, erhob Klage gegen die Erben Stahmers auf Beteiligung an den Bollenländereien. Er nahm die Klage - offenbar auf Intervention seitens der Genossen - aber wieder zurück. Im "Protokollbuch der Genossenschaft der Bollenländereien Trittau", das im Original noch heute von den Genossen der heutigen Bollengenossenschaft geführt wird, lesen wir dazu:
Verhandelt
Trittau, den 21. Februar 1893
im Hause des Gastwirtes Herrn Johannes Harders
Auf geschehene Ladung, abseiten der Bevollmächtigten, waren die nachstehend im § 5 bezeichneten Genossenschafts-Mitglieder der sogenannten Bollenländereien aus Anlaß des Ablebens des Mitgliedes Halbhufner Hinrich Stahmer zusammengetreten, nachdem von dessen Erben der gesammte Besitz an einen Herrn Rühlicke aus Neumünster verkauft. Derselbe parzellierte die in Rede stehende Besitzung. Das Wohnhaus nebst Arbeiterwohnung mit etwas Hofraum und Gartenland sowie einiger Hektar Acker gingen in den Besitz des Bödners Gatermann, Trittau, über. Letzterer trat klagend gegen die Erben des Halbhufners Johann Hinrich Stahmer auf wegen Auflassung als Mitteilhaber der Bollenländereien. Ein Beweistermin in der Sache war bereits vom Königlichen Amtsgericht am Mittwoch den 8. Februar 1893 vormittags 10 Uhr angesetzt; die Sache wurde aber durch Zurücknahme der Klage seitens des Klägers Gatermann erledigt. Um nun für alle Zeiten den Genossenschafts Mitgliedern ähnliche nach früheren mündlichen Vereinbarungen unter den Mitgliedern unberechtigte Ansprüche von der Hand zu halten, haben dieselben nachstehenden Vertrag schriftlich abgeschlossen.
§ 1
Wenn ein Genossenschafts Mitglied seine Stelle parzelliert, so bleibt es im Vollgenuß der Rechte, wenn dasselbe eine Landfläche behält von mindestens Eindrittteil seines gesamten im § 5 verzeichneten Besitzes. Dagegen sind die Käufer von Parzellen gänzlich ausgeschlossen. Auch hat das Genossenschafts Mitglied, wenn es selbst weniger als Eindrittteil seines bezeichneten Grundbesitzes behält, seine Eigentumsrechte an den Bollenländereien an die übrigen Miteigentümer abzutreten und aufzulassen.
§ 2
Die Mitglieder der Genossenschaft treten alle Jahre im Monat Januar oder Februar zusammen, wozu sie durch den Vorsitzenden geladen werden.
§ 3
Die Wahl eines Vorsitzenden, welcher gleichzeitig als Rechnungsführer fungiert, sowie dessen Stellvertreter erfolgt durch Abstimmung mit einfacher Stimmenmehrheit. Die Stimmenmehrheit ist nach dem Grundbesitz der erstbestimmenden (§ 5) zu berechnen. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los, welches durch die Hand des Vorsitzenden gezogen wird.
§ 4
Der Vorsitzende verwaltet sein Amt als ein unbesoldetes Ehrenamt auf die Dauer von 6 Jahren; bare Auslagen werden erstattet.
§ 5
Die Verteilung der Erträge aus den Bollenländereien erfolgt unter Berücksichtigung der Vorschriften in § 1 nach dem Auszuge aus dem Verzeichnis über das Landareal der Dorfschaft Trittau, ausgefertigt auf der Königlichen Amtsstube zu Trittau am 22. Oktober 1846, welches im Original diesem Contract angeschlossen ist. Hiernach beträgt das Landmaß des
Tonnen á 8 Scheffel | Scheffel à 40 Ruthen | Ruthen á 256 Fuß | Fuß | ||
Halbhufner | Johann Harten | 57 | 3 | 11 | |
- " - | Fritz Rosenau | 58 | |||
- " - | Johann Scharnberg | 56 | 6 | 10 | 8 |
- " - | Fritz Scharnberg | 57 | |||
- " - | H. Steenfadt Erben | 58 | |||
- " - | Frdr. Schneider | 60 | 7 | 24 | 2 |
- " - | Fritz Burmeister | 56 | 5 | 29 | 3 |
Kätners | Rudolph Scharnberg | 31 | |||
- " - | Wilhelm Pünjer | 31 | |||
- " - | Griems Erben | 33 | 2 | 30 | |
- " - | H. Relling | 30 | 4 | 11 | |
Bödners | Fritz Bestmann | 20 | 6 | 28 | |
- " - | Hein Pielk | 25 | 2 | 35 | 8 |
- " - | Fritz Scharnberg | 25 | |||
- " - | Heinrich Meier | 14 | |||
- " - | Hans Henningsen | 16 | 28 | ||
- " - | Heinrich Scharnberg | 14 | |||
- " - | Carl Möller | 14 | 1 | 43 | 9 |
Hufner | Johannes Harders | 77 | 5 | 12 | 8 |
Zusammen | 737 | 2 | 5 | 38 |
Diejenigen Ländereien, welche von den vorstehend genannten Besitzern nach dem 22. Oktober 1846 angekauft und mit den Stellen derselben vereinigt worden sind, haben an den Erträgen der Bollenländereien keinen Anteil.
§ 6
Jedes Mitglied der Genossenschaft ist verpflichtet, bei Abgabe seiner Stelle oder etwaigem Verkauf, an seinen Nachfolger gleichzeitig die Bollenländereien Gerechtigkeiten mit dem Besitz abzutreten.
§ 7
Jede Abänderung der vorstehenden Vereinbarung kann nur dann stattfinden, wenn die Besitzer von Siebenachtel der gesammten Ländereien der Betreffenden dafür eintreten.
§ 8
Auf Wunsch von 5 Mitgliedern ist der Vorsitzende verpflichtet, die Mitglieder zu einer Versammlung zu berufen.
§ 9
Nachdem vorstehendes Übereinkommen von uns allseitig beliebt und geschlossen worden, gestatten sich die
Unterzeichneten ein Königliches Amtsgericht zu ersuchen, dasselbe in das Grundbuch für die Genossenschaft
einzutragen.
Dessen zur Urkunde haben wir vorstehende Vereinbarung eigenhändig unterzeichnet.
Dass die nachstehend verzeichneten Personen
1 | Halbhufner | Johann Jochen Friedrich Scharnberg |
2 | Bödner | Joachim Hinrich Friedrich Meyer |
3 | Halbhufner | Hans Joachim Friedrich Rosenau |
4 | Bödner | Hein Hinrich Pielk |
5 | Doppelbödner | Heinrich Rudolph Eduard Scharnberg |
6 | Halbhufner | Johann Hinrich Friedrich Harten |
7 | Bödner | Friedrich Nicolaus Bestmann |
8 | Käthner | Hinrich Friedrich Daniel Relling |
9 | Halbhufner | Rudolph Heinrich Friedrich Schneider |
10 | Hufner | Johannes Friedrich Wilhelm Harders |
11 | Bödner | Hans Henningsen |
12 | Käthner | Johann Claus Rudolph Scharnberg |
13 | Käthner | Johann Hinrich Wilhelm Pünjer |
14 | Halbhufner | Johann Friedrich Hinrich Scharnberg |
15 | Bödner | Carl Friedrich Ludolf Möller |
16 | Halbhufner | Hans Friedrich Burmeister |
17 | Gastwirt | Johann Friedrich Scharnberg
als Generalbevollmächtigter seiner Ehefrau Catharina Maria Magdalena, geb. Püst |
18 | Käthner | Johann Heinrich Friedrich Griem |
19 | Böttcher | Christian Scharnberg und Käthner Hinrich Relling als Vormünder der weil Halbhufner Hinrich Friedrich Steenfadt´s Erben |
comparent No. 5 aus Trittauerheide, die übrigen sämtlich aus Trittau und zwar die unter Nr. 1 bis 17 und 19 verzeichneten vorstehende Unterschriften als von ihnen eigenhändig vollzogen heute anerkannt haben und dass der unter Nr. 18 verzeichnete Käthner Griem seine vorstehende Unterschrift heute eigenhändig vollzogen hat, wird hiermit bestätigt.
Trittau, den 7. April 1893
Königliches Amtsgericht
Dr. Arends
Soweit der 1893 geschlossene Vertrag über die Bollengenossenschaft Trittau, die übrigens ihre Protokolle der Jahresversammlung weiterhin im Protokollbuch von 1893 festhält.
Ein interessantes Ritual wurde ca. 1949 eingeführt: Wenn aufgrund der Erbfolge ein neuer Genosse in die Genossenschaft aufgenommen wurde, musste er als Einstand über einen von 2 Personen gehaltenen Bollenpesel springen (Bollenpesel = getrockneter Penis eines Bullen, dem ein Stabilisierungsdraht eingezogen wurde). Solch ein Bollenpesel wurde zu der Zeit noch von hauptamtlichen Melkern (auch Schweizer genannt) auf großen Höfen zum Viehtreiben genutzt.
Die "Bollengenossenschaft" existiert auch heute noch (2010) und trifft sich einmal jährlich zu ihrer Jahreshauptversammlung, auf der der Pachterlös der Bollenländereien auf die Mitglieder im Verhältnis der 1846 festgelegten Landanteile verteilt wird. Auf der Jahreshauptversammlung gibt es für die Mitglieder Speisen und Getränke frei, damit ist auch schon der Löwenanteil des Pachterlöses aufgezehrt und es bleiben nur noch ein paar wenige Euro für die Mitglieder übrig.
Von den ursprünglich 19 Mitgliedern sind heute noch 9 Mitglieder übrig geblieben (Stand: 01.01.2010). Es sind dies:
1 | Reinhard Scharnberg | 15 | Anke Schmechel |
2 | Jens Hinsch | 16 | Heinrich Burmeister |
3 | Anne Petersen | 18 | Holger Rosenau |
10 | Eckart Harders | 19 | Ulf Zingelmann |
12 | Rudolf Grunwald |
Die Ziffern vor den Namen entsprechen der Nummerierung der Landstellen im Vertrag von 1893, um eine bessere Zuordnung der Personen zu den Ländereien zu haben, denn nur bei 3 Genossen hat sich der Familienname bis heute gehalten (Burmeister, Harders und Scharnberg).
Ich danke Eckart Harders, dem Enkel des im Artikel erwähnten Bauernvogts Carl Harders, sowie meinem Bruder Richard Scharnberg, dem Vater des derzeitigen Vorsitzenden der Bollengenossenschaft, Reinhard Scharnberg, dafür, dass sie mir die notwendigen Informationen über die Bollengenossenschaft zur Verfügung gestellt haben.