Die Entstehung der Knicklandschaft
aus dem Bauernblatt vom 10. September 1988
Für unsere Dörfer hat es außer gewissen Kriegszeiten kaum mehr eine aufgeregtere aber auch gleichzeitig segensreichere Zeit gegeben, als die der Verkoppelung.
So beginnt Christian Wegner, Chronist der Tornescher Ortschronik, seinen Bericht über die in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts durchgeführte Agrarreform. Was hat unsere Vorfahren damals, vor rund 200 Jahren, so in Aufregung versetzt und war für die Entwicklung der Landwirtschaft so segensreich ? Um dieses Ereignis für uns heute verständlich zu machen, müssen wir einen Rückblick in die Wirtschaftsweise unserer bäuerlichen Dorfschaften im Mittelalter tun.
Um Siedlungs- und Wirtschaftsraum zu bekommen, mussten im frühen Mittelalter umfangreiche Waldrodungen zur Urbarmachung des Landes durchgeführt werden. Es bildeten sich viele Siedlungsinseln - die Geburtsstätten unserer Dörfer - in den sonst großen Waldgebieten. Diese Schaffung von Kulturland wurde in genossenschaftlicher Weise durch die Bauern vorgenommen. Es entstand eine vielgestaltige Acker-, Weiden- und Wiesenflur, die von Krattwäldern und Gebüschen durchsetzt war.
Haus, Hof und Kohlgarten (Hausgarten) waren im Einzelbesitz der Bauern. Jede neugewonnene Ackerfläche (Kamp) wurde in schmale Streifen (Schläge) nach Anzahl der Höfe oder Hufen des Dorfes geteilt. Sie wurden gemeinsam in sog. Dreifelderwirtschaft (es wechselte Brache, Winter- und Sommerkorn) als Feldgemeinschaft bewirtschaftet. Es gab nur eine gemeinsame Zufahrt zu dem jeweiligen Kamp. Die einzelnen Arbeitsschritte wie Pflügen, Säen und Ernten mussten von den Hufnern gemeinsam und gleichzeitig durchgeführt werden (Flurzwang).
Ähnlich gemeinschaftlich wurde die Allmende, die Gemeine Weide, das Meentland oder Gemeenheit, wie auch immer sie benannt wurde, genutzt. Sie diente überwiegend als Viehweide, aber auch zum Schlagen von Heide- und Moorplaggen, zur Düngung der Äcker und als Buschwald zur Versorgung mit Holz.
Das Zusammenleben der Dorfschaft sowie der Feldgemeinschaftsangelegenheiten wurden durch „Beliebungen“ geregelt. In ihnen waren Richtlinien über die Nutzungen in Feld und Dorf aneinandergereiht. Entscheidungsorgan der Feldgemeinschaft war die Versammlung der Hufner oder Bauleute. Sie beschlossen ihre „Willküren“, deren Einhaltung durch Bußen Nachdruck verschafft wurde. Nur so konnte die genossenschaftliche Bewirtschaftung der Flur gesichert werden. Die sog. „kleinen Leute“ des Dorfes, Kätner, Heuerleute, Brinksitter sowie Insten hatten keinen Zugang zu den Versammlungen der Hufner oder Bauleute, sie hatten keine Nutzungsrechte, sie mussten für ihre kleinen Viehbestände Grasgeld zahlen.
Die Art der Bewirtschaftung unserer Dorffluren sowie die Organisation der Dorfschaften hat über Jahrhunderte bestanden. Man nennt diese Agrarverfassung „Hufen“ oder „Marktverfassung“. Sie ließ wenig Raum für individuelles Handeln, Ausweisung neuer Hofstellen sowie wirtschaftliche Freiheit des einzelnen Bauern. Die extensive und schwerfällige Betriebsweise auf den in Feldgemeinschaften bestellten Dorffluren und die damaligen bescheidenen Düngemöglichkeiten mit Heideplaggen ließen nur geringe Erträge erwirtschaften. Mit diesen Erträgen konnte niemand den erhöhten Steuerlasten nachkommen, die nach den langen Kriegen im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert die einzelne Hufe belasteten.
Die im 18. Jahrhundert allgemein in Westeuropa aufkommenden liberalen Bestrebungen in Geisteswelt und Politik machten auch im Bereich der Landwirtschaft nicht halt.
Bereits am Anfang des 18. Jahrhunderts wurde von der „Obrigkeit“ den Bauern die Empfehlung gegeben, mehrere kleine Ackerparzellen zu größeren zusammenzulegen. Das las sich dann so:
So viel thunlich ein jeder sein Land durch freiwillige Umtauschung in befriedigte Koppeln oder Kämpe bringet, wie auch die allgemeine Weyde nach Hoff-Zahl ohne Entgelt eingetheilt ausgewiesen und aufgenommen wird.
Im Jahre 1744 wurde eine Verordnung zur Landausweisung in der Herrschaft erlassen. Sie gab die Möglichkeit, neue Hofstellen zu gründen. In dieser Zeit sind viele neue Höfe entstanden. 1767 ließ der Landdrost der Herrschaft Pinneberg alle Bauernvögte zu sich kommen. Er belehrte sie über die Vorteile der Verkoppelung und ermunterte sie „bestens, alle ihre Kräfte zu verwenden, um ihre Mit-Eingessenen zur würcklichen Umtauschung und Einkoppelung ihrer Dorffelder zu bringen.“
Diese Bitten und Ermunterungen von „amtlicher Seite“ hatten einen unterschiedlichen Erfolg. So hatten bereits ein Jahr nach der Belehrung der Bauernvögte durch den Landdrosten 12 Dörfer ihre einzelnen verstreut liegenden Flurstücke so untereinander ausgetauscht, dass größere Flächen für den einzelnen Bauern gewonnen wurden. Andere Dorfschaften verhielten sich stur, hier war mit Bitten und Ermunterungen „von oben“ nichts zu erreichen.
Im Jahre 1771 wird die Einkoppelungsverordnung erlassen. Durch diese Verordnung werden die Feldgemeinschaft und der Flurzwang aufgehoben und eine umfangreiche Flurbereinigung durchgeführt. Diese war die gesetzliche Grundlage, die das Land in das private Eigentum der Bauern überführte. Aber auch diese Verordnung beeindruckte manche Bauern noch nicht, somit sah sich der Landesherr am 28.07.1784 zu einer „Allerhöchsten Resolution“ veranlaßt. Dies zeigte Wirkung.
Im Jahre 1785 begann z.B. in Esingen die Königl.-Schleswig-Holsteinische Landkommission, an ihrer Spitze Johann Bruyn, Major und Oberlandvermesser, mit der Generalvermessung der gesamten Dorfgemarkung. Das Ergebnis wurde in einem Vermessungsregister festgehalten. Man unterschied „Altes Acker- und Wiesenland“, „Aufgenommenes Land“ und als letztes das „Land der Allmende“. Parallel wurde ein sogenanntes Bonitierungs-Instrument zusammengestellt. In ihm wurden die qualitativen Unterschiede der einzelnen Bodenarten festgeschrieben. (Für Esingen : 1 Himpten Wiesenland gleich 2 Himpten Ackerland gleich 6 Himpten Heide.)
Die Bauern mußten sich per Eid und Unterschrift mit dieser „Norm“ einverstanden erklären. Der nächste Schritt war die Anfertigung eines provisorischen Erdbuches. Für jede Hofstelle wurde ein Blatt angelegt, in dem das „Alte Land“ und das „Aufgenommene Land“ nach Quantität und Qualität aufgeführt wurde.
Dann begann man mit der Verteilung der Allmende, wobei die kleinen Bauern (halb, drittel und zwölftel Hufner) die größeren Anteile bekamen. Hiermit stellte man diesen Teil der Dorfbevölkerung auf eine wirtschaftlich solidere Basis. Das endgültige Erdbuch, in dem das Grundeigentum jedes einzelnen Bauern verzeichnet ist, wurde durch das Dorf Esingen - nach Verlesung durch den Landmesser Lund - per Unterschrift der Bauern am 04. August 1788 verabschiedet.
Den eigenen Grund und Boden musste jeder Bauer - wie es ausdrücklich gefordert war - mit „lebendem Pathwerk“ einkoppeln; man befriedete, wie es im amtlichen Deutsch hieß, die Felder mit „Graben, Wall und Pathen“, also mit Knicks. Die eingefriedeten Ackerflächen nannte man Koppeln. Die Knicks und Redder (Doppelknicks) bestimmen noch heute unser Landschaftsbild. Die vor der Agrarreform regellos verstreuten Waldelemente, Kratts und Büsche wurden nach der Verkoppelung durch das angeordnete Knicksystem landschaftsökologisch voll ersetzt.
Die im 18. Jahrhundert eingeleitete und überwiegend durchgeführte Agrarreform war Grundlage und Voraussetzung für die fortschrittliche Landwirtschaft des 19. und 20. Jahrhunderts.